Ein „Genfer“ wird Premierminister von Madagaskar

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2. Mai 2014 von Schlemihl

Rund vier Monate nach den friedlichen und fairen Wahlen sind alle politischen Ämter in Madagaskar nun besetzt. Neuer Premierminister wird Roger Kolo, der während über 30 Jahren in Genf lebte und als Arzt tätig war. Die 31köpfige Regierung enthält wenige bekannte Namen.

Friedliche und faire Wahlen
Bereits im Dezember 2013 habe ich drei Artikel zu den madagassischen Wahlen und der politischen Krise im Vorfeld der Wahlen geschrieben. Gemäss den zahlreichen internationalen Wahlbeobachtern verliefen sowohl die Präsidentschaftswahlen wie auch die Parlamentswahlen grossmehrheitlich friedlich und fair ab. Im entscheidenden zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen setzte sich Hery Rajaonarimampianina mit 53,5 % der gültigen Stimmen gegenüber seinem Rivalen Jean Louis Robinson (46,5 %) durch.

Unklare Mehrheitsverhältnisse im Parlament
Bei den Wahlen für die Assemblée Nationale vom 20. Dezember 2013 wurden insgesamt 151 Sitze in 119 Wahlkreisen vergeben. In den bevölkerungsreicheren Wahlkreisen wurden jeweils zwei Sitze nach Proporz verteilt. In den kleineren Wahlkreisen ein Sitz nach Majorzverfahren. Die Parlamentswahlen standen im Fokus des Duells zwischen den Anhängern des gestürzten Ex-Präsidenten Marc Ravalomanana (Mouvement Ravalomanana) und jenen des Übergangspräsidenten Andry Andry Rajoelina (MAPAR). Schliesslich wurde MAPAR mit 49 Sitzen klar die stärkste Partei, ist aber weit von einer Mehrheit im Parlament entfernt. Da 55 Sitze an Parteien mit zwei oder weniger Sitzen respektive an unabhängige Einzelpersonen gingen, fehlen klare Mehrheitsverhältnisse in der Assemblée Nationale:

Resultate Parlamentswahlen Madagaskar 2013

Resultate Parlamentswahlen Madagaskar 2013 (Quelle: CENI-T, HCC)

Regionale Unterschiede
Sowohl bei den Präsidentsschaftswahlen wie auch bei den Parlamentswahlen zeigten sich grosse Unterschiede zwischen der wirtschaftlich starken Region um die Hauptstadt Antananarivo und dem Rest des Landes. Bei den Präsidentschaftswahlen lag der vom Ex-Präsidenten Marc Ravalomanana unterstützte Jean Louis Robinson in den fünf im zentralen Hochland gelegenen Regionen Analamanga, Bongolava, Itasy, Vakinankaratra und Betsiboka vorne währenddem der vom Übergangspräsidenten Andry Rajoelina unterstützte Hery Rajaonarimampianina im Rest des Landes vorne lag (siehe Karte). Auch bei den Parlamentswahlen war das „Mouvement Ravalomanana“ klar die stärkste Partei in der bevölkerungsreichsten Region Analamange mit der Hauptstadt Antananarivo und eroberte dort die Hälfte der 22 Mandate. Landesweit lag hingegen die Partei MAPAR von Rajoelina vorne.

Präsidentschaftswahlen Madagaskar 2013: Hellblau: Robinson; Dunkelblau: Rajaonarimampianina

Präsidentschaftswahlen Madagaskar 2013: Hellblau: Mehrheit Robinson; Dunkelblau: Mehrheit Rajaonarimampianina (Quelle: CENI-T)

Schwierige Regierungsbildung
Aufgrund der unklaren Mehrheitsverhältnisse und der vielen Kleinstparteien und Unabhängigen im Parlament gestaltete sich die Wahl des Regierungschefs als äusserst klompex und schwierig. Erst rund vier Monate nach den Wahlen gelang es mit Roger Kolo einen mehrheitsfähigen Kandidaten zu etablieren. Der Versuch der MAPAR den Übergangspräsidenten Rajoelina zum Premier zu machen scheiterte an der fehlenden Mehrheit im Parlament. Zudem hat sich der neu gewählte Präsident Hery Rajaonarimampianina von seinem einstigen Föderer distanziert.

Premierminster Roger Kolo und Präsident Hery Rajaonarimampianina.

Premierminster Roger Kolo (links) und Präsident Hery Rajaonarimampianina.


Politischer Quereinsteiger
Der 70 Jahre alte Roger Kolo ist in Belo sur Tsiribihina in der Region Menabe an der Westküste Madagaskars geboren. Sein Vater war Bürgermeister von Morondava. Von 1980-1982 beendete Kolo sein Medizinstudium an der Universität Genf. Seither war er als Radiologe in Genf tätig. Er leitete zuletzt dort zwei private, von ihm gegründete Radiologie-Labore. Insgesamt lebte Roger Kolo also 33 Jahre in Genf. Im Herbst 2013 kandidierte er als unabhängiger politischer Quereinsteiger für das Präsidentenamt, wurde aber ausgeschlossen, weil er nicht wie erforderlich in den letzten 6 Monaten vor der Wahl seinen Wohnsitz in Madagaskar hatte. Darauf unterstütze er den später gewählten Kandidaten Hery Rajaonarimampianina.

„Gouvernement technique“
Kolo besetzte die 31 Ministerposten seiner Regierung vorwiegend mit politisch wenig bekannten und belasteten Leuten. Einzig der viertklassierte der Präsidentschaftswahl Roland Ratsiraka wird Minister für „Travaux publiques“. Der Arzt Kolo selbst übernimmt zusätzlich zum Posten als Premier auch noch das Gesundheitsministerium. Kolo bezeichnete seine Regierung selbst als „gouvernement technique“, eine Regierung die mehrheitlich aus Fachkräften statt als aus Poltikern besteht.

Chancen und Gefahren
Die politisch unbelastete Regierung von Roger Kolo ist sicherlich ein Chance für Madagaskar, das immer wieder in den letzten Jahrzehnten unter politischen Hahnenkämpchen zwischen profilierungssüchtigen Einzelpolitikern litt. Allerdings gilt es zu bedenken, dass weder Präsident Rajaonarimampianina noch die Regierung um Roger Kolo über eine starke Partei im Rücken verfügen. Zudem ist das zersplitterte Parlament politisch schwer einzuschätzen.

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