Genetische und andere Verirrungen
112. September 2010 von Schlemihl
Das Beispiel Sarrazin zeigt, welche Kurzschlüsse entstehen, wenn Staatsangehörigkeit, Volk/Ethnie, Relgion, Kultur, soziale Aspekte oder Genetik fälschlicherweise vermischt werden.
Experten sind sich einig
Zahlenreiche Experten aus dem ganzen deutschsprachigen Raum haben in letzter Zeit Stellung bezogen, zu den Thesen von Thilo Sarrazin, die dieser teilweise mit “Genetik” zu belegen versucht. Die befragten und interviewten Humangenetiker sind sich einig wie das bei Expertenbefragungen sonst selten der Fall ist: Die “Gen-Theorien” des Thilo Sarrazin sind wissenschaftlicher Unsinn! Auch “Normalbürger”, die die Grundbegriffe der Genetik einigermassen verstanden haben, wissen, dass es ein solches einzelnes, definierendes “Juden-Gen” nicht gibt.
Die Weltwoche auf Abwegen
Diese Tatsachen hindern das nationalkonservative (in letzer Zeit zu Islamfeindlichkeit neigende) Wochenblatt “Die Weltwoche” nicht daran, die Frage nach dem “Juden-Gen” zu stellen und die Äusserungen von Sarrazin zu verteidigen. In ihrer neusten Ausgabe titelt das SVP-nahe Blatt “Kluge Deutsche, dumme Muslime?”. Dass es sich bei den “Deutschen” in erster Linie um eine Staatsangehörigkeit handelt und bei den “Muslime” um eine Religionsgemeinschaft, scheint die Weltwoche nicht gross zu kümmern. Auch die Tatsache, dass es muslimische Deutsche, respektive deutsche Muslime gibt, scheint die Weltwoche zu überfordern.
Aber auch die Sonntags Zeitung ist vor solchen Falschaussagen nicht gefreit. “Tamilen sind krimineller als Ex-Jugoslawen” betitelt die Sonntags Zeitung einen Artikel zu einer neuen Kriminalstatistik und verwechselt die Ethnie der Tamilen mit der Staatsangehörigkeit von Sri Lanka.
Sarrazins Kurzschlüsse
Diese fehlerhafte Verwechslung und Durchmischung dieser unterschiedlichen Aspekte findet man auch bei Sarrazin. So schliesst er beispielsweise von der niedrigen Abitur-Rate bei Migranten aus der Türkei (Staatszugehörigkeit) auf die tiefere Intelligenz von Muslimen (Religionsgemeinschaft) und versucht diese gar noch genetisch zu begründen (Genetik). Soziale Aspekte wie das Einkommen der Eltern, das bei Bildungsfragen eine ganz entscheidende Rolle spielen, betrachtet Sarrazin gar nicht erst. Er macht zudem einen Fehler, der in fehlerhaften, populär- und pseudowissenschaftlichen Analysen von Statistiken häufig gemacht wird: Nur weil zwei statistische Grössen korrelieren, kann noch lange nicht auf Ursache und Wirkung geschlossen werden!
[…] Auf den oftmals fragwürdigen Umgang mit solchen Statistiken hatte ich bereits im Herbst 2010 bei den umstrittenden Äusserungen von Thilo Sarrazin aufmerksam gemacht: Genetische und andere Verirrungen […]