Mauer/Blattmann: Argumentativer Notstand

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16. Mai 2014 von Schlemihl

Normalerweise gehen Armee-Vorlagen problemlos beim Volk durch. Bei der Gripen-Beschaffung wird es allerdings äusserst knapp werden. Dies liegt insbesondere daran, dass den Gripen-Befürwortern die sachlichen Argumente für eine Beschaffung fehlen. Insbesondere Verteidigungsminister Maurer und Armeechef Blattmann machen eine schlechte Figur.

Ungenügender Leistungsausweis: Armeechef Blattmann und Verteidigungsminister Maurer.

Schwache Argumente für den Gripen: Armeechef Blattmann und Verteidigungsminister Maurer.

Blattmanns verzweifelte Suche nach dem Feind
Bereits im März 2010 hatte Armeechef André Blattmann für Kopfschütteln gesorgt, als er eine – man kann es nicht anderes ausdrücken – stümperhafte „Gefahrenkarte“ präsentierte. Diese hatte die Armee, notabene ohne Zusammenarbeit mit den Spezialisten beim Nachrichtendienst, erstellt. Schon damals hatte man den Eindruck Blattmann suche verzweifelt nach einem möglichen Feind in Europa. Nach der Verschärfung der Situation in der Ukraine hat Blattmann nun den angeblichen Gefahrenherd für die Schweiz gefunden.

"Gefahrenkarte" von Armeechef Blattmann von 2010 mit den Landesgrenzen von vor 1990.

„Gefahrenkarte“ von Armeechef Blattmann von 2010 mit den Landesgrenzen von vor 1990.

Ukraine-Krise ist keine militärische Bedrohung für die Schweiz
In Kolumnen in Boulevard-Medien (z.B. Blick am Abend) versucht Blattmann seit Wochen die Ukraine-Krise als militärische Bedrohung für die Schweiz darzustellen, ja er behauptet sogar, was da ohne Vorwarnung in der Ukraine passiert sei, könne auch der Schweiz passieren. Das ist absurd: Erstens kommt die Krise in der Ukraine nicht plötzlich. Seit Jahren gibt es diesen Konflikt zwischen dem proeuropäischen Westen und dem prorussischen Osten der Ukraine. Zweitens ist die Schweiz von einem breiten Gürtel von friedlichen, demokratischen Nato- und EU-Staaten umgeben. Eine „Krim-Besetzung“ droht der Schweiz in keinster Weise. Und drittens ist die Ukraine-Krise auch keine militärische Bedrohung für die Schweiz und erst recht keine bei deren Bewältigung uns der Gripen helfen könnte.

Randbemerkung: Auf der „Gefahrenkarte“ von Armeechef Blattmann von 2010 ist die Ukraine gar nicht aufgeführt, da es sich um eine Karte mit den Landesgrenzen vor 1990 handelt, also noch mit der Sowjetunion und Ex-Jugoslawien. Auch diesbezüglich scheint der Armeechef den Anschluss an die heutige Realität nicht ganz geschafft zu haben…

Blattmann und der Mineralwasser-Notvorrat
Um zu betonen, dass die Bedrohungslage für die Schweiz real sei, erklärt Blattmann in einem Interview er horte 300 Liter Mineralwasser und jede Menge Holz als Notvorrat und rät der Bevölkerung ihm nachzueifern. Mit dieser Aussage macht er die Schweizer Armee zum Gespött in ganz Europa.

Wie aus Gripen-Gegnern plötzlich Gripen-Befürworter werden
Nach dem Entscheid für den Gripen und der Veröffentlichung des geheimen Evaluationsbericht protestieren zahlreiche bürgerliche Sicherheitspolitiker lauthals gegen die Gripen-Beschaffung. Zu ihnen gehörten der ehemalige Militärpilot und SVP-Sicherheitspolitiker Thomas Hurter sowie FDP-Präsident Philipp Müller. Der Evaluationsbericht hatte dem Gripen ein klar ungenügendes Zeugnis ausgestellt und wurde vom VBS versucht geheimzuhalten. Mittlerweile ist aus dem „unbrauchbaren“ Gripen für Leute wie Hurter und Müller plötzlich ein „gutes“ Flugzeug geworden. Glaubwürdig begründen können weder Hurter noch Müller diesen Meinungsumschwung.

FDP-Präsident Philipp Müller: Zuerst ein grosser Gripen-Gegner und jetzt soll der Gripen plötzlich ein tolles Flugzeug sein.

FDP-Präsident Philipp Müller: Zuerst ein grosser Gripen-Gegner und jetzt soll der Gripen plötzlich ein tolles Flugzeug sein.

Aus 2035 wird plötzlich 2025
Bei der Gripen-Beschaffung geht es um einen Teilersatz für die Tiger F-5 und keinesfalls um einen Ersatz für die F/A-18, die gemäss Sicherheitspolitischem Bericht noch bis mindestens 2035 einsatzfähig sind, gemäss Aussagen von Armee-Chef Blattmann gar bis 2040. Seit einigen Wochen sollen die F/A-18 aber plötzlich nur noch bis 2025 einsatzfähig sein, wenn der Gripen nicht beschafft werde, behauptet das VBS entgegen alle früheren Aussagen. Diese plötzliche massive Verkürzung der Einsatzfähigkeit um rund 10 Jahre der F/A-18 ist absolut unglaubwürdig und muss als reine Abstimmungstaktik von Seiten des VBS abgetan werden.

Luftwaffe und Armee können auch ohne Gripen existieren
Mit dieser plötzlichen Verkürzung der Einsatzfähigkeit des F/A-18 wollen die Gripen-Befürworter die Gripen-Abstimmung zu einer Existenzfrage für die Armee machen: Ohne Gripen habe man ab 2025 keine Luftwaffe mehr und ohne Luftwaffe habe man keine glaubhafte Armee mehr, behaupten sie. Beide Argumentationsschritte sind falsch. Für die Luftraumüberwachung reichen die 32 vorhanden F/A-18 bis 2035 problemlos aus. Das zeigen auch die Vergleiche mit vergleichbaren Luftwaffen anderer Staaten. So genügen Österreich 15 Eurofighter für die Luftraumüberwachung. Tschechien überwacht mit seinen 14 geleasten Gripen zusätzlich zum eigenen Luftraum auch noch im Rahmen der Nato den Luftraum der baltischen Staaten.

Armee will mit dem Gripen den Erdkampf wieder einführen
1993 hat die Schweizer Armee beschlossen, künftig auf den Erdkampf, also die Bombardierung von Zielen am Boden durch die Luftwaffe, zu verzichten. Nach über 20 Jahren will das VBS den Erdkampf wieder einführen. Das ist ein Hauptgrund für die Beschaffung des Gripen. Die Wiedereinführung des Erdkampfs würde aber nur Sinn machen, wenn sich die Schweiz (z.B. im Rahmen der Nato) an internationen Einsätzen beteiligen würde. Solche Einsätze stehen in der Schweiz zurzeit aber nicht zur Diskussion. Zudem ist ja gerade Verteidigungsminister Maurer ein vehementer Gegner allfälliger internationaler Einsätze.

Maurers Aussetzer
Einen sehr unprofessionellen und unglaubwürdigen Eindruck machte während der Gripen-Kampagne insbesonder Verteidigungsminister Ueli Maurer. Zuerst fiel er durch unprofessionelle und gehässige Kommentare gegenüber Journalisten auf, dann machte er an Abstimmungsveranstaltungen frauenfeindliche Witze und schliesslich hinterliess er auch inhaltlich einen wenig kompetenten Eindruck. Eine glaubwürdige Abstimmungskampagne eines Bundesrats sieht anders aus.

Immer mehr Geld für die Armee
Auch die Behauptung der Gripen-Befürworter, die Gripen seien bereits im Armee-Budget enthalten und es würden dadurch keine neuen Kosten entstehen, stimmt nur bedingt. Zunächst gilt es festzuhalten, dass das Armee-Budget seit dem Amtsantritt von Ueli Maurer stetig und massiv angestiegen ist, von 4,3 Mrd auf 4,7 Milliarden. Und neu soll es auch wegen der Gripen-Beschaffung 5 Mrd betragen. Zwar hat das Parlament der Armee die 5 Mrd gegen den Willen des Bundesrats zugesprochen, allerdings muss das Parlament wegen der Schuldenbremse noch Einsparungen vornehmen. Und solange das Parlament kein der Schuldenbremse entsprechendes Budget vorlegt, sind die 5 Mrd keinesweg fix. Kommt hinzu, dass bei einem Nein zum Gripen, das wichtigste Argument für die Budget-Erhöhung fehlen wird. Mit einem Nein zum Gripen, kann also durchaus gespart werden, resp. können Sparmassnahmen in anderen bereichen verhindert werden.

Internationale Kooperation statt Réduit-Nostalgie
Die Aussagen von Armeechef Blattmann sowie von Verteidigungsminister Maurer zeigen, dass der Armee leider immer noch eine auf die heutige Bedrohungslage zugeschnittene Strategie fehlt. Das gilt insbesondere auch für die Luftwaffe. Solange diese strategische Frage nicht geklärt ist, macht es keinen Sinn solche Beschaffungen in Milliardenhöhe zu tätigen. Leider ist die Schweizer Sicherheitspolitik immer noch zu einem grossen Teil von Mythen und Réduit-Nostalgie geprägt. Wir müssen endlich erkennen, dass es für optimale Sicherheit insbesondere internationale Kooperation mit der Nato, resp. der EU braucht.

 

 

 

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